Absturzstelle Leistadt

Halifax NP711, 408 Sqn. Royal Canadian Air Force

21.02.1945



Am 21.02.1945 um 17:14 Uhr stieg in Linton-On-Ouse/Großbritannien ein viermotoriger Bomber der Royal Canadian Air Force (RCAF) auf, mit dem Ziel, den Bahnhof und die Industrie im Bereich Worms in Rheinland-Pfalz/Deutschland zu bombardieren. Der Bomber vom Typ Halifax VII, Kennung NP711 EQ-O, gehörte zur kanadischen 408. Staffel („Goose Squadron“, der sog. „Gänse-Staffel“, Royal Canadian Air Force). An Bord: 6 Kanadier und ein Engländer. 


   Donald McWilliam Sanderson (Pilot)           Reginald Bertram Smith (Navigator)               James Wilson (Flugingenieur)                 William Wagner (Funker)


      408 "Goose" Squadron RCAF            James Gilmore (Bombenschütze)         Nels Peter Anderson (Heckschütze)      Donald Edison Sherman (Turmschütze)


Das Flugzeug war Teil eines Bomberstroms von 334 Flugzeugen. Das Bombardement auf die Stadt und die Infrastruktur war verheerend. 39% der Stadt wurde zerstört. 239 Menschen, Soldaten sowie Zivilisten, fanden den Tod.  Mehr als die Hälfte der gesamten Bevölkerung der Stadt (ca. 58.000) wurde ausgebombt. Elf Flugzeuge der Alliierten wurden durch Flak und Nachtjäger abgeschossen.



Das Flugzeug hatte eine Luftmine, ein sog. 2000lb. HC-(High Capacity)Bombe bzw. „Blockbuster/Wohnblock-Knacker“ und acht Cluster (CP - Cluster, Projectile, 750lb. Nr. 15) mit insgesamt 1200  Stabbrandbomben an Bord (150 Stabbrandbomben pro Cluster/Behälter). Nach dem Start wurde nichts mehr von der Besatzung des Bombers vernommen. Zu Beginn des Fluges war dies der angeordneten Funkstille zuzuschreiben. Aber, obwohl das Flugzeug im Zielgebiet ankam, verlief die Mission nicht wie geplant. Halifax NP711 gehörte zu den 11 Bombern, die in dieser Nacht durch Nachtjäger und Flak abgeschossen wurden.   


2000 lbs HC Bombe wird verladen


Angriff auf Worms, 21./22. Feb. 1945
Angriff auf Worms, 21./22. Feb. 1945

Ein Zeitzeuge beschrieb die letzten Sekunden von Halifax NP711 so: „Ein Flugzeug flog gegen Mitternacht, bereits brennend, in nordwestlicher Richtung im Tiefflug an Leistadt vorbei. Plötzlich gab es eine mächtige Explosion und der ganze Berg brannte. Das Flugzeug war offenbar gegen den Hang bei Leistadt geflogen und explodiert. Bei Leistadt geht die Rheinebene über in den Pfälzer Wald. Hier ragen, direkt neben der flachen Rheinebene, plötzlich Hänge und Hügel empor. Im Dunkeln konnte man den ganzen Hang über eine Länge von ca. 400m brennen sehen.


Stabbrandbomben werden in SBC´s (Small Bomb Containers) verladen


Cluster mit Stabbrandbomben. Halifax NP711 hatte 8 davon an Bord


 

Mehrere Menschen aus Leistadt, darunter auch der örtliche Bestatter, versuchten gleich nach dem Absturz an die Absturzstelle auf dem Berg zu gelangen. Dies erwies sich aber als unmöglich. Der ganze Hang brannte wie ein Inferno.

Erst am Folgetag konnte man das Ausmaß des Ereignisses aus nächster Nähe betrachten. Der ganze Wald war großflächig abgebrannt, ein Flugzeug oder größere Teile davon waren aber nicht (mehr) zu sehen.

 

 

Das Gebiet war aber übersät mit x-tausend Kleinteilen, vereinzelt versehen mit englischer Sprache, und vereinzelt konnten Leichenteile eingesammelt werden. Ein Uniformfetzen mit einem Ärmelabzeichen („Canada“) wurde ebenfalls sichergestellt und gehörte offenbar einem kanadischen Soldaten. Zu dem Zeitpunkt wurde vermutet, dass es sich um ein zweimotoriges englisches Flugzeug gehandelt hat. Die spärlich geborgenen menschlichen Überreste wurden in (nur) einem Sarg auf dem Leistadter Friedhof beerdigt. Eine angebrachte Tafel besagte, dass dort „drei unbekannte englische Flieger“ ruhen, denn anhand der eingesammelten Leichenteile waren lt. Totengräber maximal drei Mann im Flugzeug gewesen. Dies sollte sich drei Jahre nach Kriegsende als Irrtum herausstellen.



Nach dem Krieg, am 09.04.1948, wurden die Leichen(teile) durch die Alliierten exhumiert und Kleinteile des Flugzeuges, die damals an der Absturzstelle aufgelesen wurden und evtl. zu einer Identifizierung beitragen konnten (darunter ein Flugzeugteil samt Werknummer, etc.), begutachtet. Die englische Untersuchungskommission konnte anhand der vorliegenden Beweise und bereits bekannten Eckdaten des Unglücksfluges das Flugzeug zweifelsfrei identifizieren.

 

Den Behörden in Leistadt wurde durch die Alliierten mitgeteilt, dass die Besatzung des Bombers  nicht aus drei Personen, sondern beim Absturz aus sieben Mann bestanden hat, und es sich auch nicht um einen zweimotorigen sondern um einen viermotorigen Bomber gehandelt hat. Der Leichenbestatter, der die Überreste damals eingesammelt hatte, teilte protokollarisch mit (Bericht liegt der IG-Heimatforschung ebenfalls vor), dass er damals nicht mehr Überreste der Besatzung am Absturzort finden konnte und deshalb davon ausging, dass das alles war. Die englische Untersuchungskommission nahm daraufhin zunächst an, dass alle anderen Überresten wohl am Absturzort verbrannt wären. 

 


Auszug Operations Record 408 Squadron RCAF


Im Zuge der Ermittlungen dieser Kommission stellte sich auch heraus, dass am Absturzort am Hang vermutlich nur sechs der sieben Soldaten damals den Tod fanden. Das siebte Besatzungsmitglied von NP711 (Turmschütze Sherman) wurde nach dem Absturz in Weisenheim am Sand beerdigt. Er war nachträglich der Einzigste, der identifiziert werden konnte. Er verstarb/verbrannte demnach nicht am Absturzort des Flugzeugs sondern konnte entweder noch (mit dem Fallschirm) abspringen oder wurde herausgeschleudert. Er hat dies jedoch nicht überlebt. Er wurde in Weisenheim am Sand beigesetzt und laut CWWG (Commonwealth War Graves Commission) dort am 09.04.1948 exhumiert und identifiziert.

 

Alle Überreste der Besatzung wurden nach dem Krieg von den Alliierten abgeholt und auf einen Sammelfriedhof in Rheinberg bei Duisburg umgebettet. Danach geriet die Absturzstelle in Leistadt nach und nach in Vergessenheit. Die Narben im Wald verheilten, und heute fallen die wenigen Kuhlen im Wald und die immer noch relativ offene Stelle an der die Explosion stattgefunden hat, niemandem mehr groß auf. 


1. Oberflächenfunde



Als die IG-Heimatforschung anhand von Hinweisen in schriftlichen Unterlagen und über eine englische Datenbank Ende 2017 auf den Absturz aufmerksam wurde, wollten wir alles darüber wissen. Es war zwar klar, dass der Bomber irgendwo bei Leistadt abgestürzt war, aber die genaue Stelle war nicht mehr bekannt bzw. nicht offiziell irgendwo festgehalten. Geplant war, die Stelle zu finden (Phase 1), die Nachfahren der Besatzung ausfindig zu machen bzw. umfangreich zu informieren (Phase 2), die Stelle detailliert zu untersuchen/dokumentieren (Phase 3) und nach Ende der Arbeiten vor Ort einen Gedenkstein aufzustellen (Phase 4), damit die Stelle nicht mehr in Vergessenheit gerät. 

 

Zunächst wurde die örtliche Zeitung (Die Rheinpfalz) um einen kleinen Artikel, einen Aufruf/Suche nach Zeitzeugen, gebeten. Nachdem der Artikel veröffentlicht war, meldeten sich mehrere Personen bei uns. Neben Hinweisen auf andere Abstürze in der Gegend, denen auch  nachgegangen wird, konnten zwei Personen nähere Angaben zu dem Absturz von Halifax NP711 oberhalb Leistadt machen.

 

 

Eine der beiden Personen hatte den Absturz damals beobachtet. Seine Aussage deckte sich mit dem, was in 1945 schriftlich festgehalten worden war. Ein Termin wurde vereinbart und uns wurde die Stelle gezeigt. Sofort wurden wir dort an der Oberfläche fündig: Zwischen den Blättern lagen an mehreren Stellen an der Oberfläche kleine Flugzeugteile aus Aluminium, die daraufhin gesichert wurden. Das genaue Epizentrum der Explosion ließ sich aufgrund auffälliger Geländemerkmale ebenfalls bereits vermuten, genauso wie die damals angenommene Nord-West-Flugrichtung (lt. Zeitzeugenaussage aus 1945). Die Stelle, an der die sechs Mann damals umgekommen waren, war  offenbar gefunden.   



Durch den Fund der ersten Flugzeugteile hatten wir jetzt die ersten tastbaren Beweise eines Flugzeugabsturzes. An den Teilen, die teils sehr spezifische Merkmale hatten, war bereits sichtbar, dass es sich um ein Flugzeug gehandelt haben muss, das in Großbritannien produziert worden war. Sofort wurde die GDKE in Speyer (Denkmalbehörde Außenstelle Speyer) über den Fund und den Fundort in Kenntnis gesetzt und es wurde eine Nachforschungsgenehmigung beantragt, damit die Stelle im Oberflächenbereich mit Metalldetektoren detailliert untersucht werden kann.

 

Die zuständige Kreisverwaltung in Bad Dürkheim sowie die Forstbehörde wurden ebenfalls informiert. Eine Genehmigung, den Wald befahren zu dürfen, traf kurz danach ein. Ausrüstung und Technik kann somit direkt an die Absturzstelle transportiert werden. Die personenbezogenen Nachforschungsgenehmigungen der Denkmalbehörde trafen kurz danach ebenfalls ein. 

 

Als die Absturzstelle anhand der Fundstücke eindeutig bestätigt war, wurde versucht, Kontakt zu den Familien der verunglückten Bomberbesatzung in Kanada und Großbritannien aufzunehmen. Das kanadische Fernsehen sowie örtliche kanadische und englische Zeitungen waren hierbei sehr behilflich. 




Mittlerweile konnten alle sieben Familien der Besatzung in Kanada, den USA und Großbritannien erreicht und kontaktiert werden. Sie waren ausnahmslos begeistert darüber, dass die Stelle wiedergefunden wurde und wir dort einen Gedenkstein für ihre verstorbenen Familienmitglieder planen. 

 

Das Projekt Halifax NP711 ist zur Zeit (Stand 2020) noch in Bearbeitung. Es wurden bereits sehr viele Flugzeugteile geborgen, aber vor allem auch viele neue Einzelheiten und Erkenntnisse über den Absturz gesammelt.                        

                                                                                                                                                                              Erik Wieman



Remains of a burned parachute, found at the crash site of NP711 / Überreste eines verbrannten Fallschirms


Courtesy: www.aircrewremembered.com


IG Heimatforschung RLP auf CTV Kanada



 

 

 

 

 

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