Luftkriegsgeschichte im Planquadrat Siegfried Richard 9:
Der vergessene "Würzburg Riese" bei Waldsee/Pfalz.
Oft entwickelt sich eine Recherche für ein bestimmtes Projekt etwas anders als man denkt. Statt das zu finden, was man sucht, findet man nicht selten mehr, und es ergeben sich daraus nicht selten neue Projekte. So geschehen in Waldsee, in der Nähe von Ludwigshafen am Rhein. Bei der Recherche nach einem abgestürzten englischen Flugzeug, einem Halifax Bomber mit der Kennung JD322, dessen Absturz in 1943 mit sieben verbrannten Fliegern auf einem Acker außerhalb von Waldsee endete, kamen nicht nur wichtige Details über den Flugzeugabsturz ans Tageslicht.
Ein Aufruf im örtlichen Amtsblatt führte zu dem Ergebnis, dass sich viele Zeitzeugen bei uns meldeten. Außer, dass mit Hilfe von Zeitzeugen und moderner Technik sowie mit der Genehmigung des Denkmalamtes die Absturzstelle im Endeffekt bis auf den Meter genau lokalisiert werden konnte, kamen noch andere geschichtsträchtige, fast vergessene Fakten der Waldseer Geschichte ans Tageslicht.
In Sichtweite der Absturzstelle des englischen Halifax Bombers befand sich lt. Zeitzeugen zwischen 1940 und 1945 eine Stellung der Luftwaffe. Zunächst als reine Scheinwerferstellung konzipiert (lt. Zeitzeugen war es der größte Scheinwerfer seiner Zeit mit einem Durchmesser von 150-200 cm), kam im Spätjahr von 1944 eine Radaranlage hinzu. Es handelte sich um eine Fliegerleit-Radaranlage von Telefunken, eine sog. „FuSe 65 bzw. FuMG65 (Funk-Sende Empfangsgerät/Funk-Messgerät 65), umgangssprachlich „Würzburg Riese“, genannt. Sie wurde nach der Stadt Würzburg benannt, da der Leiter der damaligen Radarentwicklung bei Telefunken Städte als Decknamen bevorzugte.
Hauptsächlich für die Führung der Nachtjäger konzipiert, besaß sie einen Parabolspiegel von 7,5 m Durchmesser und eine Reichweite von max. 60-70 km. Anderorts in der Gegend (z.B. bei Rheingönheim, Maudach, wo schwere Flak stationiert war) kam die kleinere „Würzburg“ (FuSe62/FuMG62, Flakleitradar) zum Einsatz. Diese hatte einen Durchmesser von 3 Meter und eine Reichweite von max. 25-30 km. Nebenbei wurden beide Radaranlagen, die kleine sowie die größere „Würzburg“, wie später in Waldsee auch, als Unterstützung bei der Ausrichtung der Flakscheinwerfer eingesetzt. Die kleinere FuSe62/FuMG62 wurde (Bilder siehe unten) am meisten benutzt. Dass wir es in Waldsee aber mit dem großen Bruder, den „Würzburg-Riesen“ zu tun hatten, dafür lieferten Zeitzeugen die ersten stichhaltige Beweise.
Die Soldaten der Luftwaffe, die in Waldsee stationiert waren, spielten eine wichtige Rolle an der Absturzstelle des og. englischen Flugzeugs, da die Scheinwerferstellung sowie die Absturzstelle nebeneinander lagen und die Soldaten der Scheinwerferstellung nach dem Absturz die Stelle abgeriegelt haben. Es kann nur darüber spekuliert werden, ob der Pilot des Flugzeugs beim Absturz sogar noch versucht hat, die Scheinwerferstellung zu treffen. Bis zum Absturz hatte die Scheinwerferbedienung das Flugzeug vermutlich noch im Lichtkegel. Aber konzentrieren wir uns zunächst auf die Fakten.
Rechts: Luftwaffensoldat. Damals stationiert in Waldsee. Nachfahren leben heute noch im Dorf.
Von dieser ehemaligen Stellung der Luftwaffe ist an der Oberfläche, wie an der Absturzstelle des englischen Flugzeugs auch, nichts mehr zu sehen. Die Äcker werden längst wieder bewirtschaftet, als ob dort nie etwas geschehen ist, und beide, äußerst geschichtsträchtige Stellen, drohten in Vergessenheit zu geraten. Obwohl man heute, wenn man vorbeigeht, nichts mehr sehen, gar erahnen kann, was sich dort abgespielt hat, unter der Oberfläche sieht es da ganz anders aus. Beweise des Geschehenen wurden gesichert, und beide Stellen wurden
mittlerweile eindeutig identifiziert. Mit Hilfe der noch lebenden Zeitzeugen und der modernen Technik konnten und wollen wir das Vergessene wieder ins öffentliche Bewusstsein holen, Fundstücke/Beweise sichern, geschichtsträchtige Fakten der Öffentlichkeit wieder zugänglich machen und sicherstellen, dass das Wissen um diese historischen Ereignisse, die einst dieses Dorf prägten, nicht mehr verloren geht.
Der englische Halifax Bomber ist ein separates Forschungsprojekt der IG Heimatforschung Rheinland-Pfalz und wird an anderer Stelle separat bearbeitet (siehe Link). An dieser Stelle wird auf die Scheinwerfer-/später auch Radarstellung, die damals bei Waldsee im Luftkrieg eine große Rolle spielte, eingegangen. Bei den Gesprächen mit den Zeitzeugen in Bezug auf die og. Absturzstelle, kam immer wieder das Thema „Scheinwerferstellung“ in unser Blickfeld, die Örtlichkeiten, die Rolle die sie beim Absturz gespielt hat und die „ Riesenschüssel“, die Radaranlage. „Wir benutzten sie nach dem Krieg als Spielgerät“, sagten die Zeitzeugen. „Sie kam aber erst später dazu, fast ein Jahr nach dem Absturz. Nach dem Krieg stand das alles noch eine Weile unbeaufsichtigt herum, bis alles weggeräumt wurde“, berichtete ein anderer Zeitzeuge.
„Der Mechanismus des Parabolspiegels war noch funktionstüchtig. Es war dort wie eine Spielwiese. Bis der Bauer den Schwenkmechanismus blockierte, wodurch wir die Schüssel nicht mehr abkippen konnten. Und er uns schließlich ein für allemal wegjagte, da wir ständig seine Ernte zertrampelten. Wir kletterten von hinten in die Schüssel hinein und setzten uns vorne drauf, auf den unteren Rand. Das war schon hoch, da ging es ein paar Meter runter. Da konnten locker 20 Kinder nebeneinander sitzen und, wenn die Schüssel langsam kippte, runterrutschen bzw. springen“, wurde berichtet. „Außerdem gab es unter der Anlage so einen kleinen „Bunker“, das war das Fundament. Da konnte man unten reinkriechen“. Auf meine Frage hin, ob der Parabolspiegel geschlossen oder durchsichtig war, hörte ich nur, „da konnte man durchgucken, da war ein Gitter dazwischen“. Also, dachte ich mir, definitiv keine übliche „geschlossene“ Parabolschüssel, wie die meisten kleineren Würzburg-Anlagen sie hatten.
Anhand der Beschreibungen und Stichworte war sofort Einiges klar. Mindestens 20 Kinder, die darauf Platz hatten, ein kleiner „Bunker“, in den man reinkriechen konnte, sie krochen von hinten rein und da ging es „ein paar Meter runter“, Radargitter statt geschlossenem Parabolspiegel, das konnte kein kleines Würzburg-Radargerät gewesen sein, sondern eher ein sog. Würzburg-Riese! Alle Merkmale waren offensichtlich vorhanden. Aber ich wollte es genau wissen. Für Waldsee wäre das wohl etwas Besonderes. So viel Luftkriegsgeschichte auf engstem Raum, eine Absturzstelle und eine Radar-/Scheinwerferstellung.
Bilder von ähnlichen Anlagen in der Normandie wurden den Zeitzeugen zwecks Identifizierung vorgelegt. Zunächst wurde ein Bild eines kleineren Exemplars (FuSe62/FuME62) gezeigt. „Zu klein“ sagten die Zeugen. Ein Bild von einem ähnlichen Funkmeßgerät (Gerät „Mannheim“) wurde gezeigt. Negativ. Gerät „Ansbach“, ebenfalls mit einem vergitterten offenen Parabolspiegel. Negativ. Dann das Bild eines Würzburg-Riesen (FuSe65/FuMG65). Mit der Treppe zur Kabine. Eindeutig. „Das ist er, so sah der aus“. Ein Würzburg-Riese. Wir hatten jetzt die Aussagen und schon im Vorfeld optimale Voraussetzungen. Jetzt brauchten wir Beweise. Beweise, die diese Aussagen untermauern. Fundstücke. Und die sollten bald folgen. Schneller als gedacht. Und das nicht mal aus dem Boden.
Zunächst einige Anmerkungen über diese Anlage. Eine Radaranlage. Warum ist das wichtig? Da wir uns schon länger mit Flugzeugabstürzen im Bereich um Mannheim und Ludwigshafen befassen, ist diese Stellung ein wichtiger Teil des Puzzles. Warum wurden so viele Flugzeuge um Ludwigshafen/Mannheim ab- geschossen und wie setzt sich das genau, auch technisch und organisatorisch betrachtet, zusammen? Wir beschränken uns nicht nur auf einzelne Faktoren. Wir erforschen neben Fundstücken als stichhaltige Beweise natürlich auch die Zusammenhänge, um ein vollständigeres Bild zu be-kommen. Diese Radaranlage war, im Zusammenspiel mit allen anderen Abwehrmaßnahmen um die beiden Großstädte herum, bis 1945 ein wichtiger Teil im Abwehrnetzwerk und deshalb mit ein Grund, warum wir um Ludwigshafen und Mannheim so viele Abstürze von alliierten Flugzeugen zu verzeichnen haben. Das Gerät, in Kombination mit anderen „Würzburg-Riesen“, Freya-Anlagen (Funkmess-Anlagen mit größerer Reichweite) in überlappender Entfernung, war dafür gedacht, die Bomberströme bereits im Vorfeld zu erkennen und zu verfolgen, damit Gegenmaßnahmen koordiniert werden konnten. Informationen über Flughöhe, Flugrichtung wurden an die Leitzentrale weitergeleitet. So konnten z.B. anhand der Flugrichtung potentielle Ziele wie Großstädte bereits im Vorfeld vorausgesagt und gewarnt werden oder die (Nacht-)Jägerverbände an Ort und Stelle dirigiert werden, um die Bomber bereits im Vorfeld abzufangen bzw. anzugreifen.
Waldsee gehörte damals zur LVZ West, Luftverteidigungszone West , Luftgau XII. Einsatz-gebiet der 21. Flakdivision. Es gehörte mit zur äußeren kombinierten Nachtjagd-Zone mit dem Codenamen „Dachs-Süd“ um die Großstädte Mannheim und Ludwigshafen. Rings um Mannheim/Ludwigshafen herum waren am Stadtrand und in den umliegenden Dörfern überall Stellungen positioniert. Eines der Dörfer war Waldsee. Um das ganze Dorf Waldsee herum waren verschiedene Scheinwerfer- und Horchstellungen der Luftwaffe positioniert, zB. am „Im Haimerst“ nahe dem „Stennerbrickel“(der „Steinernen Brücke“), am Mörschweg, am Mühlweg und am Ransweg zwischen Waldsee und der Rehhütte.
RRH-Ringtrichter Richtungshörer, Waldsee/Pfalz, 1940
In 1944 wurde das Funkmessgerät bei Waldsee im Nachtjagd-Netz mit eingebunden. Übergeordnete Funkmess-Stellungen 1. und 2. Ordnung, mit größerer Reichweite, standen im Dreieck Eußerthal (Stellung „Bergziege“ auf dem Eulenkopf, RLP), Eppingen (BaWü), und Gernsheim („Dachs-Mitte“, Hessen). Dazwischen standen rechtsrheinisch bei Mannheim-Käfertal und Walldorf/Hockenheim, wie in Waldsee auch, untergeordnete Stellungen mit jeweils einen Würzburg-Riesen mit max. 60-70 km Reichweite.
Die Entfernung von der Stellung Waldsee bis zur übergeordneten Stellung „Bergziege“ auf dem Eulenkopf bei Eußerthal betrug 39 km Luftlinie, bis zur Stellung „Eppingen“ 42 km und bis zur Stellung Gernsheim („Dachs-Mitte“) 40 km. FuMG65 Waldsee lag somit, mit einer durchschnittlichen Distanz von um die 40 km zu den übergeordneten Stellen, taktisch, verbindungstechnisch und funktechnisch im optimalen Bereich, der max. Reichweite von höchstens 70 km (unter günstigen Bedingungen) in Betracht gezogen.
Nicht nur Vor- und Vollalarm mittels Sirene deuteten auf die Annäherung alliierter Fliegerverbände hin. Funkmessstellungen, wie auch die in Waldsee, gab es flächendeckend im gesamten Reichsgebiet. Diese konnten ja die Flugrichtung, vorausgesetzt sie hielten diesen Kurs bei, vorauskalkulieren. Ab 25 min. vor dem vermutlichen Eintreffen eines Bomberverbandes, und nochmals ab 21 Minuten (Verbände flogen aus Täuschungsgründen meist nie direkt das Hauptziel an) und ggfs. nochmal 15 Minuten vorher wurden über Radio (Volksempfänger) Luftschutz-Warnungen für bestimmte Bereiche durchgegeben. Damit konnte die Bevölkerung in bestimmten Bereichen bereits im Vorfeld zusätzlich gewarnt werden.
September 1944, Angriff auf BASF Ludwigshafen/Rh. BASF Tor 3
Da alle gefährdeten Zonen (hauptsächlich Großstädte) im damaligen Reich zum Zwecke des Luftschutzes in Planquadrate unterteilt waren, ist ein Begriff den Waldseer Zeitzeugen von damals bis heute im Gedächtnis geblieben: „Siegfried-Richard 9.“ „Siegfried-Richard“ war die Bezeichnung des Planquadrates für die Gegend um Waldsee bzw. Mannheim/Ludwigshafen, mit der Zahl „9“ als engere Eingrenzung. „Wenn wir Buben hörten , dass alliierte Flugzeuge Planquadrat „Siegfried-Richard 9“ ansteuerten, wussten wir, sie kommen!“ Wurde die Meldung nach 21 oder gar 15 Minuten nicht mehr wiederholt, war der Verband abgebogen und flog eine andere Richtung bzw. ein anderes Ziel an. Wenn nicht wurden 21 oder 15 min. vor dem Angriff nochmals für das Planquadrat Warnmeldungen gesendet und ab 10 Minuten vor dem Angriff gingen dann die Sirenen los. „Da war mit dem Schlimmsten zu rechnen. Außer es folgte die „Entwarnung“ (Sirene, Anfang des Krieges 2 min. Dauerton, gegen Ende des Krieges 1 min. Dauerton) Dann war die Gefahr im letzten Moment gewichen.
Da in 1943 in Waldsee auf die umliegenden Äcker tagsüber schon mal ein Bombenteppich herunter-kam (vermutlich, wegen schwerer Flugabwehr, der Notabwurf eines amerikanischen Bombers; Amerika-ner flogen hauptsächlich tagsüber, Engländer hauptsächlich nachts), waren alle nach der über das Radio übermittelten Mitteilung „Anflug auf Planquadrat Siegfried-Richard 9“ in höchster Alarmbereitschaft. Zum Glück fanden im Laufe des Krieges bei Waldsee, außer dieses eine Mal, wo zum Glück niemand zu schaden kam, keine weiteren Bombenabwürfe statt. Auf das Dorf selbst ist keine einzige Bombe gefallen. Das Nachbardorf Neuhofen sowie das daneben liegende Rheingönheim, wo sich bereits die ersten Industrieanlagen und eine daneben liegende Großkampfstellung mit schwerer Flak befanden, hatten da weniger Glück. In dem Bereich, auch im Dorf selbst, waren bereits mehrmals Bomben eingeschlagen und hatten viel Schaden angerichtet.
Garnison in Waldsee/Pfalz, Sportplatz (ASV) Waldsee/Pfalz, Marschtraining
Eine größere Abteilung regulärer Truppen der Luftwaffe war am Sportplatz in Waldsee und an den Stellungen im Feld in Baracken untergebracht. Teile der Bedienungsmannschaften kamen aus Bayern (Nachfahren wohnen immer noch im Dorf) und anderen Teilen in Deutschland aber kamen auch oft aus der direkten Umgebung als Teil der „Heimatflak“. Nachfahren wurden in Speyer ausfindig gemacht. Neben zahlreichen Scheinwerferstellungen und RRH-Stellungen (Ringtrichter-Richtungshörer) wurde die Scheinwerferstellung in der Nähe des „Stennerbrickel“, um die es jetzt geht, erst spät im Krieg, gegen Mitte/Ende 1944, um das FuMe65 Radargerät „Würzburg-Riese“ erweitert.
Taktisch gesehen stand der stationäre „Riese“ relativ sicher außerhalb des direkten Zielgebietes, außerhalb des Stadtgebietes von Ludwigshafen und Mannheim. Hier zählten die BASF und andere industrielle Ziele bis zum Kriegsende zu den Hauptzielen der Alliierten. Am Stadtrand, hauptsächlich an den Flakstellungen bei Rheingönheim, Maudach, Oggersheim, Frankenthal stand, lt. damalige Flak-Karte, jeweils eine mobile FuMe62 Radaranlage (die kleinere Version des Würzburg-Gerätes).
Nach Juni 1944, der in Frage kommende Zeitraum des Waldsee-„Riesen“, also später im Krieg, wurde leider nicht mehr immer detailliert festgehalten, was wo genau gebaut oder wo Militärtechnik hingestellt wurde. Den „Riesen“ von Waldsee, der nicht mehr auf der uns vorliegenden Flak-Karte (Stand: Juni 1944) von Ludwigshafen steht, fanden wir erst auf einer Karte der TN, der Technischen Nothilfe (jetzt Technisches Hilfwerk) aus 1945/1946 wieder, auf der Stellungen, Bunker, Anlagen, Panzersperren etc. zwischen Ludwigshafen und Speyer vermerkt waren, die nach dem Krieg geräumt werden mussten, damit das normale Leben wieder Einzug halten konnte, Felder bestellt werden konnten. Außerdem fanden wir eine Bestandsliste im Archiv von Waldsee, auf der die damaligen Baracken samt dem damals noch vorhandenen Inhalt (größtenteils) vermerkt waren. Viele Einwohner von Waldsee hatten den Baracken samt Einrichtung, die nach dem Krieg herrenlos herumstanden, einen „Besuch“ abgestattet. Schränke, etc. stehen heute noch in dem ein oder anderen Keller. Sogar Holz und Backsteine der Unterkünfte wurden mit Schubkarren abtransportiert.
Das, was man mitnehmen konnte, wurde mitgenommen. In dieser schweren Zeit nach dem Krieg konnte man logischerweise alles gebrauchen. Möbel, Schränke und Inventar
aus den Baracken sowie Gebrauchs-gegenstände der Luftwaffe fanden neue Eigentümer. Unser Glück. So wurden uns die ersten Gegenstände aus der Stellung gezeigt, die auch die damalige Jugend, die
heutigen Zeitzeugen, damals mit ihren Eltern eingesammelt hatten. Zu unserer Über- raschung, auch an der Radaranlage wurde rumgeschraubt, abmontiert und Kleinteile wurden zu Hause zweckentfremdet
eingesetzt.
So wurde mir ein Kellerfenster gezeigt. Das Fenstergitter war kein normales Fenstergitter. Es war das Gitter das sich damals zwischen den schweren Trägern am Parabolspiegel des Radargerätes befand, und damals, lt. einem der Zeitzeugen, durch die Väter mit der Zange herausgeschnitten wurde. Ein größeres und zwei kleinere Teile des Radargitters wurden der IG Heimatforschung RLP überlassen, wodurch uns der erste handfeste Beweis der Radaranlage, und, in etwa,des Anlagentyps, vorlag. Das uns gezeigte Radargitter wurde damals nämlich größtenteils nur an „Würzburg-Riesen“ und anderen selteneren Funkmessgeräten (Gerät „Ansbach“, Gerät “Mannheim“ etc.) verbaut.
Uns wurde des weiteren Spezialwerkzeug aus der Stellung überlassen. Und wurde uns z.B. eine Aluminium-Waschschüssel überlassen, welche auf der Rückseite den Luftwaffenadler sowie eine Stempelung zeigt. Diese Waschschüssel wurde neben dem ursprünglichen Zweck auch dazu verwendet, das Scheinwerferglas des Flakscheinwerfers mit Wasser zu reinigen. Eine Aluminium- Milchkanne mit Luftwaffenstempelung und eine Gasmaske (mit dem Namen des ehem. Trägers, also einem der in Waldsee eingesetzten Soldaten) wurden uns ebenfalls überlassen. Die örtliche Jugend hatte fleißig gesammelt. Für uns ein Glücksfall und alles eindeutige und handfeste Beweise. Die Gasmaske, die uns aus der Stellung gezeigt wurde, gehörte FLWM (Fliegerwachtmeister) Pistor, Feldpostnummer 38038. Die Feldpostnummer gibt uns Hinweise darauf, welche Einheit der Luftwaffe in Waldsee an dem neben der Radaranlage stehenden Scheinwerfer eingesetzt war: Die 3. Batterie, Flakscheinwerfer-Abteilung 300, Flakscheinwerfer-Regiment 109 der 21. Flak-Division.
Jetzt war es an der Zeit, die Koordinaten der Stellung genau zu bestimmen bzw. die „verschwundene“ Stellung zu finden. Und das ging ebenfalls schneller als gedacht. Als ich bei der Ermittlung des Grundstücks an der Stelle, wo ich die Scheinwerfer/Radarstellung vermutete mit einem der Bauern sprach, sagte er gleich, dass er immer mit dem Pflug an einer bestimmten Stelle an etwas Hartes „kratzt“. Und zufällig hatte er dort kürzlich ein relativ großes Betonfragment herausgepflügt/hochgezogen und vorübergehend auf seinem Hof deponiert. Ich sah mir das Betonstück an und tatsächlich, die Ecke eines Fundaments. Zusammen sind wir dort hingefahren, wo er das Betonstück herausgepflügt hat. Eine Vertiefung/Verwerfung im Pflughorizont zeigte die Stelle noch deutlich.
In der Zwischenzeit hatte ich auch mit dem Heimatmuseum Kontakt aufgenommen. Zusammen mit Helge Geissler vom Heimatmuseum hatte ich kurz darauf die Stelle, an der das Fundamentstück zu Tage kam, mit Suchnadeln sondiert. Nach wenigen Nadelstichen in den gepflügten Boden stießen wir bereits in geringer Tiefe, direkt unter dem Pflughorizont, auf Beton. Kleinere Betonreste lagen hier auch an der Oberfläche.
Durch das wiederholte Sondieren mit den Suchnadeln an verschiedenen Stellen (von innen nach außen), konnten wir die noch vorhandene Betonfläche ermitteln und optisch mit Fähnchen sichtbar machen. Obwohl die TN/Technische Nothilfe alles, was oberirdisch sichtbar war, damals entfernt hatte, stellten wir fest, dass die Fundamentplatte noch größtenteils vorhanden sein musste, minus dem Stück, das der Bauer bereits auf dem Hof liegen hatte. Vergleiche ergaben, die Maße stimmten mit bekannten, im In- und Ausland noch existierenden WR-Sockel (Sockel von Würzburg-Riesen) überein.
Beispiele: WR-Sockel in Polen/Skandinavien
Als die Nachforschungsgenehmigung der Denkmalbehörde in Speyer vorlag, konnte die Stelle mit Metallsuchgeräten minutiös abgesucht werden. Drei ehrenamtliche Mitarbeiter der Denkmalbehörde Speyer waren in Waldsee tätig. Markus Bode aus Waldsee, Peter Berkel aus Schifferstadt und ich selbst, Erik Wieman, ebenfalls aus Waldsee. Direkt neben dem Fundament, das wir als Ausgangspunkt nahmen, bekamen wir bereits mehrere Signale. Hier wurden die ersten Fundstücke, Aluminiumteile der Anlage, der Verstrebungen, inklusive Fragmente vom Radargitter, identisch mit dem der „Kellerfenstergitter“ der Zeitzeugen, geborgen. Nachdem der Kreis größer bzw. im Kreis ausgefächert wurde, zeichnete sich anhand der Fundlage der einzelnen Fundstücke ein detailliertes Bild ab. Vom Fundament bis zum Weg zeigte sich eine deutlich schräge „Trümmerlinie“ von Einzelfragmenten der Anlage auf.
Direkt neben dem Feldweg musste der Scheinwerfer im Feld gestanden haben oder abgebaut worden sein. Fundstücke legen dies nahe. Weiter im Feld stand die Radaranlage, von der das Fundament offenbar teilweise noch im Boden ruht. Die Auswertung der Funde und Erkenntnisse sind sehr aufschlussreich. Die Fundstücke/Überbleibsel der Radaranlage und die des Scheinwerfers sprechen für sich. Das Fundament wird in naher Zukunft freigelegt werden. Und es wird alles genaustens dokumentiert um mit Sicherheit sagen zu können, was noch vorhanden ist und wozu es gedient hat.
Am Feldweg wurde ein Großteil der Geräte offensichtlich (teilweise) zerlegt, teils „zerkleinert“ und abtransportiert. Viele Fragmente von Militärgerät, Schanzwerkzeug, Instrumente und Teile des Radars (Teile der Verstrebung aus Eisen und Aluminium, Fragmente vom Radargitter, ) sowie Fragmente und Teile der Scheinwerfereinrichtung wurden geborgen. Aussagekräftige Fundstücke eines fast vergessenen Stücks Waldseer Geschichte wurden nach über 70 Jahren wieder ans Tageslicht befördert.
Die Absturzstelle, mit der eigentlich alles begann, sowie die daneben liegende Stellung der Luftwaffe, beides bedeutsame historische Stätten der Luftkriegsgeschichte, gelten ab jetzt als eindeutig gesichert.
Zurück zu den letzten Minuten des Krieges in Waldsee: Die letzten Minuten der Stellung in Waldsee wurden eingeläutet, als die Amerikaner am 23. März 1945 mit Sherman Panzern, Jeeps und Infanterie aus Richtung Limburgerhof-Rehhütte in Waldsee einzogen. Die Panzersperre in der Neuhofener Straße am heutigen Partnerschaftsplatz/Bäckerei Görtz war somit unwirksam. Sie wurde einfach umfahren, indem die amerikani-
schen Panzer über die heutige Rehhütter Straße, die damals nur ein Feldweg war, an der Friedhofsmauer vorbei, nach Waldsee hineinrollten, direkt an der hinter der Mauer bestatteten englisch-kanadischen Fliegerbesatzung des Halifax Bombers vorbei. Anschließend fuhren die Amerikaner durch das Zentrum der heutigen Ludwigsstraße (damals Schlageter/Horst-Wessel-Straße), an der aus Baumstämmen gefertigten, aber längst geöffneten Panzersperre am „Löwen“, am Kriegerdenkmal von 1914-1918 vorbei, von der die Absperr-Baumstämme, die dazu gedacht waren, die Sperre mittig zu schließen, in der Johannesstraße lagen. Die Sperre war kurz vor dem Einmarsch geöffnet worden, um Waldsee weiteres Unheil zu ersparen. "Wir
bekamen „Chewing Gum“ (Kaugummi), sie warfen es uns von ihren Fahrzeugen aus zu, und wir freuten uns“, wie einer der Zeitzeugen berichtet. Alles verlief ruhig. Derweil bewegte sich die Fahrzeugkolonne und die daneben laufende Infanterie stetig weiter über die heutige Ludwigsstraße in Richtung Otterstadt. Damals war, im Gegensatz zu heute, linksseitig der Ludwigsstraße am Dorfausgang in Richtung Otterstadt, kaum Bebauung vorhanden. Nach der „Villa“, die ehemalige Praxis von Dr. Siebert, war alles noch unbebaut. Da gab es nur Gärten. Und dort passierte es.
Als die ersten drei, vier Fahrzeuge am letzten Haus, an der Villa, vorbeifuhren, fielen plötzlich Schüsse. Die amerikanische Kolonne wur- de beschossen. Die Schüsse kamen links aus dem Feld, von der Flakscheinwerfer- /Radarstellung, aus Richtung „Stenner-Brückel“. Ein paar fanatische deutsche Soldaten wollten es noch wissen. Die Panzerkuppel des an der Villa stehenden amerikanischen Panzers drehte sich sofort in Richtung Stellung. „Plötzlich donnerte es gewaltig. Der Panzer gab mehrere Schüsse mit der Panzerkanone ab, ohrenbetäubend laut“, wie einer der Zeitzeugen berichtete. Zeitgleich stießen Jeeps und die amerikanische Infanterie vorwärts in Richtung Stellung, von der die Schüsse kamen.
Das ungleiche Feuergefecht dauerte nicht lange. Die Stellung wurde rasch von den Amerikanern eingekreist. Nach 20-30 Minuten war alles vorbei. Lt. Zeitzeugenaussagen wurden im Nachgang des Geschehens mehrere deutsche Soldaten gesichtet, die als Kriegsgefangene auf den Fahrzeugen der Amerikaner abgeführt wurden. Der Krieg in Waldsee war vorbei.
Fazit: Zwei Äcker am Ortsrand von Waldsee. Auf den ersten Blick eigentlich zwei ganz gewöhnliche Äcker. Sehen tut man dort heute, oberflächlich, nichts mehr. Aber dort ist es passiert. Ein fast vergessenes Stück Waldseer Geschichte.
Fundstücke, Hintergründe, Details, Koordinaten wurden gesichert und gehen nicht mehr verloren. Am Absturzort des englischen Bombers wird nach Ende der Prospektion, die immer noch andauert, in Zukunft ein Gedenkstein realisiert. Nachfahren der getöteten Besatzung werden die Stelle, an der ihre Väter, Onkel, Familie gestorben sind, besuchen können. Bis zur Entdeckung der genauen Absturzstelle war den Nachfahren die Stelle unbekannt.
Die Stelle der ehemaligen Radar-/Scheinwerferstellung, einst ein wichtiger Bestandteil der Luftkriegsgeschichte im Bereich Ludwigshafen/Mannheim, wird nach Ende der Prospektion, die ebenfalls noch andauert, mit einer Infotafel versehen werden.